Lost Souls von Thomas Finn

Die kleine St. Nicolai Kirche im Ortsteil Coppenbrügge ist wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.
Bei den Grabungen geschieht das grausame Unglück. Bauarbeiter Werner bricht durch den Boden in eine Grabkammer und wird bei lebendigem Leibe von einem Heer von Ratten zu Tode gebissen.
Um den Vorfall zu untersuchen wird die Archäologin Jessika Raapke auf den Fall angesetzt.
Jessika hat ihre 15-jährige Patentochter bei sich aufgenommen, deren Mutter bei einem Autounfall tödlich verunglückte.
Zusammen sind sie gerade weitab vom Schuss in die einsame alte „Rattenfängerhütte“ auf dem sagenumwobenen Ith Höhenzug in die Nähe von Hameln gezogen.
Nicht nur das alte Haus scheint verwunschen zu sein, mit jedem Tag mehren sich die Anzeichen, dass aus der Grabkammer etwas absolut böses aufgetaucht ist und seine getreuen Diener die Ratten auf die Bevölkerung Hamelns loslässt.
Ein toter Bauarbeiter, eine ebenfalls zu Tode gebissene Obdachlose bilden nur den Anfang, Straßenzüge ohne Strom, da die Ratten die Starkstromkabel wegbeißen folgen, die Aufsichtsbehörden sind ratlos.
Kammerjäger Peter Rating kommt mit keinem seiner herkömmlichen Mittel dem größer und größer werdendem Problem bei.
Kommt der Rattenfänger nun zurück, um endlich seinen Sold von der Stadt zu verlangen?
Ich mag deutsche Sagen, von daher bin ich gleich angefixt gewesen, als ich den Buchrücken las.
Der Titel ist natürlich komplett Panne und kann im Prinzip für alles und nichts stehen.
Doch die Geschichte mit seinem bedächtigen Aufbau, dem steten Anziehen der Spannungsschraube immer in Verbindung mit dieser uralten Sage, ist rundum gelungen.
Das Buch beginnt auf den ersten Seiten mit dem Abdruck der Sage laut den Gebrüdern Grimm.
So ist auch der Leser, der die Geschichte dahinter vielleicht nicht mehr ganz parat hat (in der Schule laufen deutsche Sagen und Märchen ja leider nur noch unter ferner liefen) wieder im Bilde.
Der Rattenfänger, der im 13. Jahrhundert an die 130 Kinder aus dem damals lediglich 2000 Seelen zählenden Stadt Hameln gelockt hat, wird innerhalb des Buches in jeder möglichen Richtung seziert.
Ist es vielleicht ein Anwerber gewesen, der Siedler für den Osten angeworben hat – und aus jungen Menschen wurden über die Jahrhunderte Kinder?
Solche Werber sind überliefert, haben sich in bunte Kleidung gehüllt, um aufzufallen und konnten meist auch Instrumente spielen um die Leute anzulocken?
Sind die Menschen der Pest zum Opfer gefallen und der Rattenfänger wurde dazugedichtet um besser dazustehen?
Hat der damalige Herrscher Spiegelberg ein Exempel statuieren wollen, um heidnischen Bräuchen rund um das Ith Gebirge den Garaus zu machen und nicht davor zurückgeschreckt einen Massenmord in Auftrag zu geben?
All diese Möglichkeiten werden erörtert, natürlich ohne eine Lösung zu bieten – doch es ist sehr spannend und nachvollziehbar beschrieben.
Auch das es in Hameln einen großen Exitus von 800 Jahren an Menschen gegeben hat steht außer Frage, ist doch der Vorfall in den Archiven der Stadt erwähnt (wenn auch erst aus dem 16. Jahrhundert).
Die Protagonisten sind alle wohlfeil beschrieben, jeder agiert nachvollziehbar, wobei der amerikanische Autor Finn einige spannende Wendungen einbaut.
Diese sind nicht immer bis zum Schluss nachvollziehbar, heben die Spannung aber einfach sehr schön an.